Bei einer Unterhaltung mit einem GKV-Vertreter über Absurditäten der Gesundheitspolitik am Rande des DRG-Forums kam mir die Idee, man könne doch ein entsprechendes absurdes Theaterstück umschreiben: also z. B „Warten auf die Krankenhausreform“ anstatt „Warten auf Godot“. Und für die Wartezeit gäbe es ein Spiel, bei dem man in einer Variation von Monopoly Leistungsgruppen anstatt Straßen sammelt.
Spaß bzw. Galgenhumor beiseite: Durch sinkende Fallzahlen, im Verhältnis zur Inflation zu niedrigen Basisfallwerten und chronisch unzureichender Investitionsförderung der Länder sind die Krankenhäuser in akuter Finanznot: Immer mehr Kliniken rutschen in immer größer werdende Defizite. Diesbezüglich bleibt die Politik weitgehend untätig.
Stattdessen wiederholt Gesundheitsminister Prof. Lauterbach mantraartig, dass seine Reform die einzige Möglichkeit sei, Kliniken zu erhalten. Dabei ist längst allen Beteiligten klar: Die angesichts der Herausforderungen wirklich notwendige Reform wird nicht kommen und Lauterbachs Reform wird so kommen, dass sie die eigentlichen Probleme nicht löst.
Und bis zur Reform werden mehr und mehr Krankenhäuser in die Insolvenz rutschen.
Stärken und Schwächen der Reformvorschläge
Um konstruktiv zu bleiben, betrachten wir den aktuellen Stand der Reform nach derzeitigem Stand (01.06.2023):
Die Definition und anschließende Ausrichtung der Krankenhausplanung an Leistungsgruppen wird auch von Krankenhausvertretern weitgehend positiv bewertet.
Dass die Leistungsgruppen mit Strukturqualitätskriterien verknüpft werden, ist nachvollziehbar. Die Frage ist, welche Institution dafür zuständig wird. Zu vermeiden ist eine von Partikularinteressen einzelner Fachgesellschaften getriebene jährliche Veränderung und Verschärfung der Qualitätsanforderungen, wie es im OPS der Fall ist.
Mit der Definition von Versorgungsauftrag und Leistungsspektrum eines Krankenhauses über Leistungsgruppen mit Qualitätsvorgaben sowie deren Prüfung durch den Medizinischen Dienst sind die Strukturvorgaben im OPS sowie die OPS-Strukturprüfungen überflüssig und abzuschaffen.
Die Level dienen selbst in den letzten bekannten Eckpunkten des Bundesgesundheitsministeriums zunächst nur noch der Transparenz und sind nicht mehr strikt mit den Leistungsgruppen verknüpft. Das gefällt nicht allen Krankenhausvertretern, hier besteht ein Dissens zwischen Maximalversorgern und Unikliniken auf der einen und den kleineren Krankenhäusern auf der anderen Seite. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass eine entsprechende Verknüpfung irgendwann scharf geschaltet wird.
Bei der Vorhaltefinanzierung muss zwischen der Ausgliederung aus den DRG und der späteren Auszahlung anhand der Leistungsgruppen unterschieden werden.
Die Ausgliederung aus den DRG soll zunächst pauschal normativ mit einem festen Prozentsatz über alle Kostenarten erfolgen und später vom InEK anhand der tatsächlichen Vorhaltekosten innerhalb einer DRG kalkuliert werden. Die Problematik der pauschalen normativen Ausgliederung über alle Kostenarten liegt darin, dass die in den Rest-DRG verbleibendenden Bewertungsrelationen in der Fallabrechnung tendenziell die Leistungen mit einem hohen Anteil variabler Kosten zu niedrig und die Leistungen mit einem hohen Fixkostenanteil zu hoch vergüten.
Besser wäre eine DRG-individuelle Ausgliederung der Infrastrukturkostenmodule sowie eines zunächst normativ festgelegten Anteils der jeweiligen Personalkostenmodule. Zumindest die variablen Sachkosten (Implantate, Medikamente) sollten ungekürzt in der Rest-DRG verbleiben, so dass diese auch bei der Einzelfallabrechnung entsprechend fallbezogen finanziert wären.
Die Auszahlung über Leistungsgruppen ist dagegen höchst komplex und kann – je nach Leistungsspektrum des einzelnen Krankenhauses innerhalb einer Leistungsgruppe – zu erheblichen Schieflagen und Fehlanreizen führen. Wie dies umzusetzen ist, ohne dass am Ende doch wieder ein DRG- und Fallbezug entsteht, wird spannend.
Die Krankenhausplanung verbleibt nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen bei den Bundesländern. Inwieweit sie von den bundesweiten Qualitätsvorgaben zu den Leistungsgruppen abweichen und damit den Reformansatz aufweichen können, bleibt abzuwarten. Leider ist die Unterfinanzierung bei der Investitionsförderung völlig unberücksichtigt, obwohl sie eine der Hauptursachen des wirtschaftlichen Drucks auf die Krankenhäuser und entsprechender Spar- und Gegenmaßnahmen war und ist.
Die Krankenhäuser des geplanten Level 1i sind umstritten, insbesondere ob sie überhaupt noch als Krankenhäuser gelten. Unabhängig davon und von der unattraktiven Bezeichnung (Alternativ: ‚Interdisziplinäre/medizinisch-pflegerische Gesundheitszentren‘ oder einfach – ohne DDR-Nostalgie – ‚Polikliniken‘) könnten sie jedoch einen gewissen Charme haben.
Zum einen gibt es bereits jetzt eine Reihe kleinerer Krankenhäuser, die gerne unabhängig von den sektoralen Grenzen ihren Schwerpunkt in den ambulanten Bereich verschieben würden, dies aber mangels gesetzlicher Grundlage und Blockade der Kassenärztlichen Vereinigungen nicht können.
Zum anderen ist es aus zwei Gründen sinnvoll und wichtig, die Standorte als Struktur zu erhalten:
Zunehmend wollen (junge) Ärztinnen und Ärzte auch in der ambulanten Versorgung in einem Angestelltenverhältnis und ggf. Teilzeit arbeiten, anstatt sich das unternehmerische Risiko und den administrativen Aufwand einer eigenen Arztpraxis anzutun. Dafür könnten die aus Krankenhäusern hervorgegangenen Gesundheitszentren eine etablierte Struktur bieten, ohne Finanzinvestoren das Feld zu überlassen.
Der Versorgungsbedarf wird angesichts des Alterns der geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten zwanzig Jahren wieder deutlich zunehmen. Es macht wenig Sinn jetzt Strukturen zu zerstören, um sie in Zukunft wieder teuer aufbauen zu müssen.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass diese Krankenhäuser uneingeschränkt und unabhängig vom ärztlichen Status (angestellt oder niedergelassen) ambulant behandeln dürfen. Richtig charmant könnte es werden, wenn in solchen Einrichtungen die ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung (SGB V) gemeinsam mit der stationären und ambulanten Pflege (SGB XI) nahtlos ineinander übergehen.
Was für eine echte Reform fehlt
Allerdings hat die Bemerkung des Kommissionspapiers, diese Einrichtungen könnten auch eine pflegerische Leitung haben, sofort die deutsche Ärzteschaft auf den Plan gerufen und die KVen werden ebenfalls mitreden wollen. Dies führt zu den Punkten, die für die echte und notwendige Reform der Gesundheitsversorgung fehlen:
Wenn wir in Zukunft aufgrund des demographischen Wandels mit weniger Menschen in der Versorgung mehr Menschen mit Versorgungsbedarf behandeln müssen, dann brauchen wir effizientere Versorgungsstrukturen ohne Redundanzen und eine bessere Arbeitsteilung.
Nicht nur der allumfassende Arztvorbehalt, auch ein Großteil der Regelungen des SGB V im Hinblick auf Leistungsbeschränkungen und Sektorenabgrenzung stammt aus dem letzten Jahrhundert, als aufgrund der so genannten ‚Ärzteschwemme‘ eine angebotsinduzierte Leistungsausweitung und damit Kostenbelastung für die GKV befürchtet wurde. Die damals eingeführten Regelungen bedeuten aus Patientensicht Mehrfachkontakte mit unterschiedlichen Behandlern und damit Informationsbrüche, Redundanzen, Mehrfachuntersuchungen und höheren Kosten.
Aktuell und vor allem in Zukunft führt das demographische Missverhältnis zwischen Berufseinsteigern und Berentungen zu einer Umkehrung der Verhältnisse: Leistungsausweitung ist (systemweit) aufgrund des Fachkräftemangels (in Verbindung mit Personalvorgaben) nicht mehr zu befürchten – im Gegenteil. Niedergelassene und Krankenhäuser konkurrieren nicht mehr mit- und untereinander, sondern die Patientinnen und Patienten konkurrieren um die Leistung. Daher können die bürokratischen Regelungen zur Leistungsbegrenzung sowie zur Abgrenzung der Sektoren abgeschafft werden.
Ein eigenständiges heilberufliches Handeln von Pflege- und anderen Gesundheitsberufen in definierten Bereichen könnte eine effizientere Arbeitsteilung mit Vermeidung von Mehrfachkontakten ermöglichen.
Die Vielzahl kleinteiliger abgegrenzter Behandlungsformen und Abrechnungsarten im Bereich der so genannten ‚sektorübergreifenden Versorgung‘ könnte vereinfachend und bürokratiearm ein einer einzigen Behandlungsart – nennen wir es klinisch-ambulante Versorgung – zusammengefasst und die jeweiligen Übergänge zur ambulanten und stationären Versorgung fließender gestaltet werden.
Ganz allgemein ist die im Koalitionsvertrag vereinbarte Bereinigung des SGB V von unnötigen bürokratischen Regelungen vielleicht dringlicher als die gesamte Krankenhausreform, weil dies schnell zur Entlastung der Versorger und Senkung der Kosten führen würde.
Solange wir keine neuen Superkrankenhäuser nach dänischem Vorbild bauen, darf es nicht eine nur einseitige Zentralisierung geben, sondern die Maximalversorger müssen auch die Möglichkeit haben, Patientinnen und Patienten, die nicht (mehr) der Maximalversorgung bedürfen, zur Weiterbehandlung in (wohnortnahe) Krankenhäuser niedrigerer Versorgungsstufe zu verlegen, um die Kapazitäten für die medizinisch anspruchsvolleren Fälle zu nutzen.
Bei der Frage der Bedarfsnotwendigkeit muss zwischen ländlichen und Ballungsregionen unterschieden werden. Dort wo in ländlichen Regionen Krankenhausversorgung wirtschaftlich und qualitativ nicht mehr abbildbar und ein eine Ausdünnung unvermeidbar ist, müssen entsprechende andere Versorgungsstrukturen und eine gute Notfallrettung auf- und ausgebaut werden.
Bei der Kommunikation mit der Bevölkerung besteht ein deutliches Verbesserungspotential. Ohne mit den Menschen vor Ort ehrlich über Notwendigkeiten und Folgen der Strukturveränderung zu kommunizieren, wird keine Reform die erforderliche Akzeptanz finden.
Bleibt noch die Grundsatzfrage: Wie viele und welche Krankenhäuser brauchen wir?
Abgesehen vom fehlenden konsensfähigen Zielbild und den unterschiedlichen Interessenlagen wird sich kein Politiker oder sonstiger Entscheider öffentlich konkret dazu äußern, welches Krankenhaus unnötig ist. Zudem gibt es verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten der Landeskrankenhausplanung, einem Krankenhaus den Versorgungsauftrag zu entziehen.
Eine endgültige Lösung dafür gibt es wohl nicht, aber vielleicht wäre eine Anleihe aus dem Konzept der Bankenrettung ein Ansatz: Bund und/oder Länder könnten eine Art ‚Bad Bank‘ für Krankenhäuser gründen, die marode bzw. nicht bedarfsnotwendige Krankenhäuser aufkauft und abwickelt.
Geld
Ein solches Vorgehen würde etwas kosten, doch egal ob die Reform in der aktuellen Version kommt oder welche zusätzlichen Veränderungen noch mit aufgenommen werden:
Der Veränderungsprozess kostet Geld!
Das von einige Gesundheitsökonomen gerne als Vorbild genommene Land Dänemark hat allein im Vorfeld seiner Krankenhausreform mehrstellige Milliardenbeträge in die Hand genommen, um die notwendigen Strukturen und Voraussetzungen zu schaffen – noch bevor das erste Superkrankenhaus überhaupt gebaut wurde. Vielleicht ist es für zukünftigen Generationen weniger problematisch, eine gewisse Staatsverschuldung vorzufinden als ein lebensfeindliches Klima und eine zusammengebrochene Gesundheitsversorgung. Da der Finanzminister dies jedoch offensichtlich anders sieht, ist die Erwartung begrenzt, dass die notwendigen Reformen auch in notwendiger Weise finanziert werden.
Dabei würde es sich lohnen, auch finanzielle Anreize zu schaffen, denn aus verhaltenspsychologischer Sicht werden Veränderungen viel schneller und nachhaltiger durch Anreize statt durch Strafen erreicht. Letztere führen allenfalls zu Vermeidungsstrategien, die nicht unbedingt in Richtung des gewünschten Ziels gehen.
Fazit
Die strukturelle Unterfinanzierung der Krankenhäuser muss sofort beendet werden, wenn wir bis zum Beginn der Krankenhausreform noch eine funktionierende Krankenhausversorgung vorfinden wollen! Die wesentlichen Einnahmen eines Krankenhauses aus den Behandlungserlösen und der Investitionsförderung müssen zusammen ausreichend sein, um ein wirtschaftlich geführtes Krankenhaus auskömmlich zu finanzieren. Dies ist aktuell wegen chronisch unzureichender Investitionsförderung und fehlender Anpassung der Landesbasisfallwerte an Inflation und Tarifentwicklung nicht der Fall.
Eine bürokratische Entrümpelung der krankenhausrelevanten Gesetze könnte viel schneller und effektiver zu einer Entlastung und damit auch Kostensenkung führen als der langwierige Reformprozess. Dies gilt insbesondere für
Erleichterung und Anreize für die ambulante Behandlung am Krankenhaus und die Aufhebung sektoraler Abgrenzungen;
Zusammenfassung aller ambulanten Leistungen am Krankenhaus in eine einheitliche Behandlungsform und Abrechnungsart;
Aufhebung von Leistungsmengenbegrenzungen im ambulanten (z. B. Budgets) und stationären (z. B. FDA, Mehrerlösausgleiche) Bereich, da systemweit eine Leistungsausweitung durch Fachkräftemangel in Verbindung mit Personalvorgaben nicht mehr zu befürchten ist.
Die vorgezogene rasche Umsetzung einer gesetzlichen Grundlage für intersektorale/medizinisch-pflegerische Gesundheitszentren (Level 1i) kann geeigneten Krankenhäusern die freiwillige Umwandlung schnell ermöglichen.
Der Reformprozess – wie immer er am Ende aussehen mag – muss eine ausreichende Transformationsfinanzierung beinhalten.
Die Notwendigkeiten, Ziele, Maßnahmen und Folgen einer Reform der Gesundheitsversorgung müssen klar und ehrlich der Bevölkerung unter Einbeziehung der betroffenen Kommunen kommuniziert werden.
Am Ende muss eine Krankenhausfinanzierung stehen, die bedarfsnotwendige Gesundheitsversorgung und Gesundheitsstrukturen definiert und es ohne Fehlanreize und Leistungsausweitung ermöglicht, den jeweiligen Versorgungsauftrag kostendeckend zu erbringen.